„Ein beispielloses Jollenrevier“ (W. Erdmann)
Peenestrom und Kleines Haff hießen die Ziele des dritten Fahrtenseglertreffens, das vom 18. bis 22. Juli 2024 im Hafen Kamp südlich von Usedom stattfand. Erstmals war unsere stolze Flottille an der neu eingeführten Wanderzugvogel-Flagge zu erkennen – familiär und freundschaftlich verbunden, wenn auch nicht immer in derselben Richtung unterwegs.
Der Ruf übers Haff war bei drei Windstärken deutlich zu vernehmen: „Wo wollen die denn hin!?“
Ich formte die Hände zu einem Trichter: „Mönkebude!“
„Das is‘ jetzt da!“ Der Fragesteller zeigte quer zur Fahrtrichtung nach Süden, und tatsächlich: Der vereinbarte Kurs hätte eigentlich ins Fahrwasser „M“ geführt. Doch die Begeisterung trug das erste Boot schon meilenweit voraus, immer weiter gen Osten – und die nachfolgenden Boote munter hinterher.
Schlimm war das nicht, wir fuhren ja keine Regatta. Als der Fehler bemerkt wurde, war es für den Zusammenhalt unserer kleinen Flotte allerdings schon zu spät. Während das vorauseilende Boot, ein Vollholz-Schwerter mittleren Baujahrs, tapfer in die rund fünf Seemeilen entfernte Uecker-Mündung einlief, hatten die meisten Crews längst kehrt gemacht – zurück zum Ausgangspunkt, dem gastfreundlichen Hafen Kamp südwestlich von Usedom.

Immerhin zwei Boote, ein Schwertzugvogel und ein Kieler, ließen es sich nicht nehmen, das Ziel Mönkebude doch noch anzusteuern. Zur Belohnung gab es einen herrlichen Sandstrand mit den typischen Ostsee-Strandkörben, gefolgt von einer traumhaft schönen Heimfahrt in den Sonnenuntergang hinein. Die Bilder, die an diesem Abend entstanden, sprechen für sich: Schöner kann Segeln nicht sein!
Die Verwirrung am ersten Segeltag ließ sich wohl darauf zurückführen, dass diesmal keine ortsansässigen Gastgeber dabei waren. Zwar hatten sich die Teilnehmer gewissenhaft auf das unbekannte Revier vorbereitet. Schon vor der Anreise wurden detaillierte Informationen zu möglichen Zielen, Untiefen, Naturschutz und vielem mehr ausgetauscht. Aber auf der großen Wasserfläche, fernab vom Ufer, bei idealen Bedingungen und entsprechendem Speed sah die Welt dann doch anders aus. Und das Fahrtensegeln war diesmal bewusst so organisiert, dass sich jede Crew je nach seglerischen Präferenzen und Hitze-Resistenz ihre eigenen, für sie passenden Ziele setzen konnte.
„Ein beispielloses Jollenrevier“ (Wilfried Erdmann, „Mein grenzenloses Seestück“, 7. Aufl. Delius Klasing Verlag)
Von dieser Möglichkeit machten die Teilnehmer gerne Gebrauch. So kam es, dass am nächsten Tag gleich mehrere Törns auf dem Programm standen: vormittags eine Testfahrt zur Zecheriner Brücke, nachmittags ein Ausflug mit variabler Zielsetzung. Ursprünglich sollte die Stadt Usedom angesteuert werden, doch bei auffrischendem Nordost hätte das eine Kreuz im engen Fahrwasser des verkrauteten Usedomer Sees bedeutet. Die meisten Boote entschlossen sich, einfach das freie Segeln auf dem Haff zu genießen, während eine Crew kurzerhand den Anker warf, um eine Runde ums Boot zu schwimmen. Ein anderer Teilnehmer nahm den Weg nach Usedom dann doch noch auf sich und kehrte am Abend hochzufrieden in die Gruppe zurück: Ziel Usedom erreicht!
Auch am dritten Tag teilte sich die Flottille auf, um verschiedene Ziele in Angriff zu nehmen. Während die meisten Boote erneut (und diesmal erfolgreich) die Fahrt nach Mönkebude antraten, segelten die beiden Crews, die schon am ersten Tag dort gewesen waren, pünktlich um 12:45 Uhr durch die geöffnete Autobrücke von Zecherin den Peenestrom hinab. Die glatte Wasserfläche im Windschatten der Insel Usedom entpuppte sich als wahres Jollenparadies, genau wie es der Weltumsegler Wilfried Erdmann in seinem 1991 erschienenen Reisebericht „Mein grenzenloses Seestück“ beschrieben hat. Als „beispielloses Jollenrevier“ lobte Erdmann, der hier ebenfalls mit einem Zugvogel unterwegs war, die Gegend zwischen Peenemünde und dem Stettiner Haff. Wer am Fahrtenseglertreffen 2024 teilgenommen hat, kann diese Einschätzung nur bestätigen.
Im idyllischen und modernen, parkartig ausgebauten Mini-Hafen Rankwitz hielten sich die Peenestrom-Eroberer dann wohl ein paar Minuten zu lange auf. Als wir um 17:00 Uhr wieder zur Zecheriner Brücke kamen, konnten wir nur noch zusehen, wie diese für den Schiffsverkehr bereits wieder geschlossen wurde. Auch durch einen freundlichen, eigentlich noch rechtzeitig eingegangenen Anruf ließ sich der Brückenführer nicht erweichen: Angeblich durfte er unsere Passage nicht abwarten, weil zwischenzeitlich keine Schiffe mehr an der Brücke waren – obwohl wir es noch innerhalb der zwanzigminütigen Öffnungszeit geschafft hätten.
Nachdem er die Brücke geschlossen hatte, rief der Brückenführer extra noch einmal zurück, um sich zu entschuldigen. Er hätte uns ja gerne geholfen, so die Auskunft… Ob man das nun nachvollziehen kann oder nicht: In solchen Fällen hilft kein Diskutieren und erst recht kein Lamentieren. Wir machten das Beste daraus. „Irgendwann ist immer das erste Mal“, sagt ein Sprichwort – und siehe da: Auch ohne Übung war es gar nicht so schwer, auf dem Wasser den Mast zu legen, mit raumem Wind unter der Brücke durchzupaddeln und den Mast auf der anderen Seite wieder zu stellen. So liefen wir eine gute Stunde später um einige Erfahrungen bereichert in den Heimathafen Kamp ein: Rankwitz gesehen und wieder viel gelernt.
Der vierte Tag bedeutete für die meisten Crews, Abschied zu nehmen. Das Wetter zeigte deutlich, was es davon hielt: Es regnete still und trübselig. Mit dem böigen Südwestwind, der am nächsten Tag folgte, konnte eines der teilnehmenden Boote schließlich noch die von blühenden Seerosen gesäumte Peene hinaufsegeln und als letztes Reiseziel die rund neun Kilometer landeinwärts gelegene Hansestadt Anklam erreichen.
Ein anderer Teilnehmer war sogar schon drei Tage vor dem Treffen angereist, hatte wie seinerzeit Erdmann im Peenestrom vor Anker im Boot übernachtet und die Häfen Lüttenort und Loddin im nördlich gelegenen Achterwasser, einer großen Bucht des Peenestroms nahe der Ostsee, besucht.
So lässt sich bilanzieren, dass das großartige Potenzial des Hafens Kamp mit seinen zahlreichen umliegenden Zielen von den Wanderzugvögeln 2024 voll ausgeschöpft wurde. Gekennzeichnet war das Treffen auch diesmal wieder von einer wunderbar einvernehmlichen, freundschaftlichen und harmonischen Atmosphäre, vor allem aber von den spontan organisierten Beiträgen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Einer hatte schon im Vorfeld die erwähnten Revier-Informationen zusammengetragen, zwei Crews fuhren einkaufen, ein Teilnehmer hatte sogar riesige Töpfe für selbstgemachte Bolognese dabei. Von einer Thüringer Familie wurden dreißig mitgebrachte Rostbratwürste gestiftet und natürlich war auch die Rolle des Grillmeisters schnell besetzt…
Sensationell war die Betreuung durch den Hafenmeister René. Von der Reparatur eines Pinnenauslegers bis hin zum fachkundigen Kurzvortrag über das örtliche Wahrzeichen, die „Monsterbrücke“ (W. Erdmann) von Karnin, tat René wirklich alles dafür, dass wir den Aufenthalt in Kamp uneingeschränkt genießen konnten. Mit René hatte unser lieber Segelkamerad Christian, bevor er unsere Gruppe für immer verließ, das Fahrtensegeln im Hafen Kamp schon im vergangenen Herbst vorbesprochen.
Vier Schwertzugvögel und vier Kieler haben an diesem Treffen teilgenommen, darunter das nagelneue Regattaboot „All we need“ (GER 4205) aber auch mehrere Vollholz-Oldtimer, die zusammengezählt schon ein ganzes Jahrhundert im Kielwasser haben. Der Wanderzugvogel lebt! Wir freuen uns schon auf das nächste Mal. Wer sich anschließen oder an der Organisation beteiligen möchte, ist herzlich eingeladen.
Matthias Meyer-Schwarzenberger
